Die Orgeln und Organisten im Basler Münster
von Fritz Morel und Felix Pachlatko
Am Pfingstmontag 1303 ertönt im Basler Münster zum erstenmal eine von Magister Raspo aus Frankfurt am Main erbaute Orgel. Sie ist offenbar zur allgemeinen Zufriedenheit ausgefallen; denn die Chorherren feiern regelmässig ein Jahrgedächtnis für das Seelenheil des Erbauers. Das Instrument leidet unter dem Erdbeben von 1356; 4 Jahre später fällt es einem Brand zum Opfer; es muss aber bald wieder ersetzt worden sein, ist doch 1385 von einem Gewölbe gegenüber der Orgel die Rede. Die Berichte der Münster-Bauverwaltung, die sogenannten Münsterfabrik-Akten von 1399/1400 erwähnen sogar 2 Orgeln, wie dies damals oft der Fall ist mit der einen im Chor, der andern im Schiff. Der älteste Organistenname lautet um die Jahrhundertwende "Magister Dietrich". Vielleicht versteckt sich unter dieser Bezeichnung Dietrich Binninger, ein schon 1395 erwähnter Kanoniker des Domstifts, der laut dem Historischen Grundbuch 1407 ein Haus am Schnabelgässlein sein eigen nennt. Er ist spätestens 1412 gestorben. Neben ihm amtet ein gewisser "Magister Jakobus".
Von Bedeutung ist der Name "Hans von Michsen". Er taucht in den Jahren zwischen 1399 und 1422 unter denjenigen der Gesellen der Münsterhütte auf. Ist dieser "Michsner" oder "Meissner" der Geselle des ebenso bezeichneten Michael Gerlach, der aus Leipzig gebürtig ist? Also ein Landsmann aus dem Meissner Gebiet dieses Orgelbauers, der 1433/34 an der Münsterorgel von Strassburg baut und diejenige von Ulm begutachtet?
Gerlach wird in einem Verzeichnis der zwischen 1442 und 1443 verstorbenen Priester des Bistums Basel auch als "olim organista basiliensis" bezeichnet. Es ist anzunehmen, dass er es gewesen ist, der 1440 am Basler Konzil beim Te Deum mitgewirkt und einen "fröhlichen Hymnus" georgelt hat. Als weitere Organistennamen finden Erwähnung: 1436 Johannes Musner, 1469 Ludwig Sicher, zwischen 1474 und 1493 Magister Petrus (Peter Seheim?). Das Organistengehalt beträgt vor 1434 40 Goldgulden.
Einschneidende Veränderungen gehen mit der grossen Orgel 1474 vor sich: Ist sie bis anhin - wie aus dem Bild von Konrad Witz "die Hl. Familie mit Barbara und Katharina" (um 1430) hervorgeht - auf der Südseite des Mittelschiffs angebracht, wird sie nun wiederum als Schwalbennest, auf der gegenüberliegenden Seite aufgehängt. Den Umbau besorgt Georg Falw aus Ulm, die Orgeltüren des Prospektes bemalt Hans Balduff, der 1461 Basler Bürger geworden ist und 1466 am Spalentor gemalt hat.
Schon 10 Jahre nach dem Umbau wird, diesmal durch Mathias Kern aus Strassburg, erneut an der Orgel gebaut. Es scheint, die Arbeit sei diesmal gelungen, denn Kern erhält zum vereinbarten Betrag von 138 Pfund noch ein Trinkgeld von 30 Goldgulden für sich und je 2 für Frau und Kinder. Balduffs Malerei bleibt bis 1528, wo sie durch die Grisaille-Bilder von Hans Holbein d. J. ersetzt wird. Kurz vor der Reformation ist noch Hans Gross aus Nürnberg Münsterorganist gewesen. 1521 wird er für eine Expertise nach Schlettstadt, im nahen Elsass, geholt; 1528 kauft er mit seiner Frau Anna ein Haus in der St. Albanvorstadt; etwa 1530 wird er zum letzten Mal erwähnt. Glücklicherweise sind die Orgelflügeltüren vom Bildersturm verschont geblieben, nicht aber von den Uebermalern. Unter diesen bedeckt sich J. Sixt Ringlin 1639 mit zweifelhaftem Ruhm. Jetzt verschwindet auch die Aufschrift: In honore beatissimae virginis Mariae cum organis jubilemus Deo.
Es ist das Verdienst von Münsterpfarrer Antistes Dr. Simon Sulzer, das Orgelspiel wieder im Gottesdienst eingeführt zu haben. Er war einerseits dem Luthertum mit seinem liturgischen Reichtum zugetan, anderseits hatte er grosse Freude am Spiel des Orgelbauers Balthasar Meyer, welcher auf dem Münsterplatz wohnte und am Sonntag oftmals nach der Predigt bei offenem Fenster Orgel spielte. Als erster Organist nach der Reformation amtet der aus Säckingen stammende Katholik Gregor Meyer, ein auch von Glarean hochgeschätzter Komponist, der bis kurz vorher in Solothurn einen Organistenposten innegehabt hat. Er wird bezeichnet als "ein gar bäpstischer mann, welcher mit den burgern hinder dem wein gut mann war, und gern etwas diensts bekommen hette". Neben dem Orgeldienst hat er der Jugend Musik- und Instrumentalunterricht zu erteilen.
Gregor Meyer stirbt im November 1576 und wird durch den 1554 im belgischen Tournay geborenen Samuel Mareschall ersetzt. Der Münsterorganist wird zugleich "Professor musices" an der Universität und Lehrer für Musik und Kirchengesang am Gymnasium auf dem Münsterplatz. Er exerziert dort die Schüler unter Zuziehung von Bläsem besonders im Psalmengesang, damit sie am Sonntag im Münster den einstimmigen Gemeindegesang zu stützen imstande sind.
Als Mareschall sich im Jahre 1577 daran macht, seine Orgel zu reparieren, wird versucht, das in Freiburg residierende Domkapitel für einen Beitrag an die Restauration zu interessieren! Die Reparatur kostet 500-600 Goldgulden; als Experten werden 2 Organisten aus Breisach und Säckingen zugezogen. Bei seinem Tode im Alter von nahezu 90 Jahren hinterlässt Mareschall eine grosse Zahl von Sätzen zu den französischen Psalmmelodien und andern Liedern, dazu eine Einführung in die Musik mit Anleitung zum Violenspiel. Nach Schneiders Tod, 1838, tritt der 27-jährige Musiker Benedict Jucker die Stelle an. Er ist Schüler der sogenannten Organistenschule Basels, der Vorgängerin der Allgemeinen Musikschule, und Johann Christian Heinrich Rincks, der dem jungen Organisten die authentische Bachtradition übermittelt hat. Jucker hat das Verdienst, viel zur Verbreitung Bach'scher Kunst in Basel getan zu haben; auch der Neubau der Orgel ist ihm zu verdanken. Jetzt wird der Organistenposten de facto mit der Orgellehrerstelle an der Musikschule verbunden, eine "Ehe", welche erst heute zu einer loseren Verbindung geworden ist.
Nachfolger am Münster und Musikprofessor werden nacheinander die drei Wolleb, nämlich 1642 Johann Jakob, mit einem kurzen Unterbruch zwischen 1649 und 1650 (während welchem der Bayer Sebastian Komber den Dienst versieht) , 1668 Johannes, Professor der Physik, und 1677 Johann Jakob, der auch die Aemter des Weinschreibers und Ehegerichtschreibers bekleidet. Die Gesangsübungen am Gymnasium aber haben seit 1649 die Münsterkantoren zu leiten. Sie sind zugleich Lehrer an der Schule "auf Burg". Der Basler Schulmeister und Organist Johann Jakob Pfaff, seit 1692 Lehrer am Gymnasium, übernimmt 1709 das Organistenamt, nachdem die Wahl des seit 1692 in Basel bezeugten Karl Dietrich Schwab, Leiter des 1. Collegium musicum und Organist zu St. Peter, beim Rat keinen Beifall gefunden hat, weil er Ausländer und Lutheraner ist. Pfaff wird auch Universitätsmusikdirektor und hat als solcher bei akademischen Festlichkeiten die Instrumentalmusik zu leiten, während Schwab 1710 die Inspektion aller Orgeln übertragen wird. Ein Jahr später, 1711, baut Andreas Silbermann aus Strassburg die Münsterorgel um. Das Instrument weist nach der Renovation 20 Register auf, nämlich 9 im Hauptwerk, 6 im Rückpositiv und 5 im Pedal, dazu 2 Tremulanten und 1 Manualkoppel. Nach Pfaffs Tod, 1729, tritt wiederum ein Schulmeister die Aemter des Münsterorganisten und Musikprofessors an: Christoph Gengenbach. Nach dessen Ableben 1770, rückt 1771 der Sohn in beiden Aemtern nach, da er "eine vorzügliche Wissenschaft besass die Orgel zu traktieren und nebst dem Klavier die Violine zu spielen". Dies ist weniger der Fall beim 1795 gewählten Nachfolger Samuel Schneider, der sich rühmt, "ausser dem Gottesdienste nie eine Orgeltaste berührt zu haben".
In die Amtszeiten von Gengenbach Sohn fällt der Umbau durch den Basler Orgelbauer Johann Jakob Brosi. Denn der Organist bescheinigt am 28. Juli 1787 Vergrösserung und Instandstellung. Es handelt sich dabei neben der dringend notwendigen Reparatur hauptsächlich um die Erweiterung um die 5 Einzelregister eines Echokornetts, Bourdon, Praestant, Nazard, Doublette und Terz, und um ein fünffaches Kornett wahrscheinlich im Hauptwerk. Soviel geht wenigstens aus einem Gutachten des Orgelinspektors vom 1. September 1787 hervor. Damit hat die Orgel die von Johann Jakob Flick in seiner "Beschreibung der Münsterkirche" von 1788 angegebene Zahl von 26 Registern. Ein Jahr zuvor wurden die Orgeltüren entfernt und in der öffentlichen Kunstsammlung deponiert. Sie stehen heute im Kunstmuseum.
Nach Juckers 1876 erfolgtem Tod wird der St. Galler Alfred Glaus aus Ludwigsburg, wo er Musiklehrer an einem Knabeninstitut ist, berufen. "Aus der Meisterschule Immanuel Faissts hervorgegangen, das heisst, in bestem Bach'schen Geiste erzogen, verfügte er über eine Virtuosität, die den anspruchsvollsten Aufgaben des Orgelspiels gewachsen war" urteilt Hermann Suter 1919 im Nachruf.
Nach dem Rücktritt von Glaus im Jahre 1906 wird der Strassburger Adolf Hamm gewählt. Dieser erweist sich sofort als ein glänzender Künder Bach'scher Kunst und vorbildlicher Programmgestalter. Er erwirbt sich ferner als Gründer und Leiter des Basler Bach-Chors bleibendes Verdienst auch um die Verbreitung des Kantatenwerks des Thomaskantors.
In den Jahren 1997/98 erfolgt eine Innenrenovation des Münsters mit Stillegung der Orgel. Von denkmalpflegerischer Seite wird in diesem Zusammenhang der Wunsch geäussert, das von der Orgel verdeckte Westfenster wieder freizulegen. Studien zu den Umbaumöglichkeiten der bestehenden Orgel führen zur Einsicht, dass ein Neubau der Orgel am sinnvollsten ist. Nach längerer Evaluation erhält die Orgelbaufirma Mathis in Näfels (Schweiz) den Zuschlag für den Neubau des Instrumentes. Aus einem Gestaltungswettbewerb für die äussere Gestaltung der Orgel geht der Zürcher Architekt Peter Märkli als Sieger hervor. Zu Beginn des Jahres 2002 wird die alte Orgel demontiert und nach einer dreimonatigen Renovationsphase des Lettners (Orgelempore), seiner Seitenwände und der darüberliegenden Gewölbe von August 2002 an die neue Orgel eingebaut. Die Einweihung findet an Pfingsten 2003 statt, 700 Jahre nach der ersten bekannten Orgelweihe im Basler Münster.